Liebes Archiv … Einträge vom Januar 2008

Vercelli Helau.


Knietief im Konfetti watend schauen wir den bunten Wagen zu, wie sie die Viale Garibaldi entlangziehen, Kamelle werden teilweise einzeln verteilt, bunte Papierschnipsel gibt es aber genug, der italienischen Bürokratie sein dank. Wir Zuschauer wirken irgendwie unbeteiligt, nur ein paar Kinder sind kostümiert, Stimmung kommt nicht auf, es wird eindeutig zu wenig gesoffen! Mit dem Karneval, den wir früher im Vormittagsfernsehen erdulden mußten, wenn wir zwischen den ersten Schulstunden und dem Schulgartenunterricht zuhause den Abendfilm in Wiederholung sehen wollten, hat das hier nicht viel zu tun. Wenigstens ist das Konfetti echt, das verschossen wird.

] [] Vercelli / Sonntag, 27. Januar 2008

Wo die Paviane erfunden wurden.


Wenn der gschissene Baedecker, wie ihn mein österreichischer Kollege nennen würde, auf der beigelegten Karte einen Ort mit zwei Sternen markiert, ist dieser einen Umweg wert. Auf Pavia, einstige Hauptstadt des Langobardenreichs und eine der ältesten Universitätsstädte Italiens, traf das wirklich zu.
Angefangen im Süden der Stadt bei der überdachten Brücke, Nachbau der im Zweiten Weltkrieg zerbombten, schlich ich durch die alten engen Gassen zu den Kirchen San Teodoro und San Michele, wo einst Italiens Könige wie elfhundertfünfundfuffzich Friedrich Barbarossa gekrönt wurden, zum Dom, von Nahem ein schreckliches Monstrum aus Backstein, weißem Stein und Beton und in umfangreicher Sanierung, weiter nördlich zum Castello Visconteo, im Januar schon mittags geschlossen, zur Kirche San Pietro in Ciel d'Oro mit dem Marmorgrabmal des Heiligen Augustinus, das auch unser Ratzi schon besucht hat, unter den hohen Geschlechtertürmen durch die Gassen wieder zum Fluß, wo die Sonne rotgolden unterging. Ist Italien nicht schön?!

[] Pavia / Samstag, 26. Januar 2008

Unterwandert - nicht mit mir.

b aus Bequemlichkeit oder Wissen um die Folgen - ich rasier mich eben ungern. Vor allem ganz bis auf die Pelle. So Spitzen schneiden wie die Mädels, daß das Gewucher wieder einem Dreitagedings ähnelt, wenn es stark anfängt zu jucken - das kann ich.
Was passiert, wenn ich diesen Zeitraum ungenutzt verstreichen lasse, hab ich noch nicht bis ins Extrem ausprobiert, vielleicht fang ich dann an, mit einem Basketball zu reden?
Jedenfalls birgt das Ratzekahlsägen seine Tücken für den ungeübten Puristen. Die Kaltmamsell friert das Fleisch ein und nennt die feinen Scheiben dann Carpaccio, im Selbstversuch erstaunt dann immer wieder die hervorragende Durchblutung der betroffenen Gesichtspartien.
Überall rote Körperflüssigkeit. Die zarte Pfirsichhaut unter dem Fell ist ja so empfindlich. Geköpfte Talghügel schrein, wenn die nackte Klinge über die Ebene schabt und dieses kratzige Geräusch verursacht, daß bei so manchem die Zehennägel den Pioniergruß entrichten. Schotterflechten unter Zeitungsecken. Kaltes klares Leitungsheimer statt Rasierwasser. Dier Werbung lügt doch eh.
Spätfolgen. Neue weißliche Punkte wo vorher Kruste war. Ein schwächliches Härchen schafft es nicht durch die vernarbte Körperbespannung. Schleicht sich unter der Epidermis entlang und denkt, ich seh es nicht! Ha! Ich kenn doch die Brüder! Es wirft Beulen, kleine, verdächtige Dinger mit nem dunklen Streifen, leicht gerötete Umgebung - ich schlage zu - Razzia! Alle raus! An die Wand! Her mit der vom letzten Einsatz noch blutverkrusteten, spitzen Schere! Heldenhaft wie einst der Zladi kämpfe ich, aufgebohrt, untergehebelt, gnadenlos mit der Pinzette rausgezerrt, genau wie die anderen Spasemacken, die wie Robben unter dem Eis pochen, wenn ihr kleines Badeloch zugefroren ist.
Und danach das geknechtete Hüllorgan in Ruhe lassen, allen Anfeindungen widerstehen, stark bleiben. Am besten nie wieder scheren. Wild und unbezähmbar aussehen! Brüll!

[] Vercelli / Montag, 21. Januar 2008

Sabato bianco.


Erinnern wir uns noch an den letzten Winter, die weißen Freitage in Dizin und den Neujahrslauf am Tochal? Na klar! Wer könnte das vergessen, wo er doch ein Tagebuch hat.
Am Samstag schälen sich ein Dutzend Schneeliebhaber vor der Zeit aus dem Bett, darunter auch ich, und reiten gen Nordwesten, dorthin wo die Alpen stehen. Sie reihen sich ein in die Schlange der Autos, die sich die Serpentinen nach Valtournenche hinaufschieben, denn hier Können Sie sich auf die Abhangen klettern, um die Steinbocken zu sehen! Aber wir sind zum Schifahren da, mummeln uns ein, leihen uns den Rest der Ausrüstung zusammen und hüpfen in die lustige Gondel, hinauf ins riesige Schigebiet, das von hier übers Matterhorn bis nach Zermatt reicht, internationaler Schipaß erforderlich.
Diesmal bin ich irgendwie etwas besser in Form, aber die Abfahrten sind immer viel kürzer als die Zeit, die man im Lift vertrödelt. Hier drüben ist es noch recht schattig, im Tal von Cervinia ist feinster Sonnenschein, das Matterhorn steht doof rum und macht garnix, wir wedeln und wedeln und wedeln, machen Mittag draußen auf der Terrasse und wedeln und wedeln und wedeln. Und Schuß nach ganz unten ins Tal. Nun schlackern die Beine doch ein bißchen. Und nochmal hoch. Und nochmal runter. Die Beförderungsmittel stellen schon ihren Dienst ein, ist ja auch erstmal genug.

[] Valtournenche / Samstag, 19. Januar 2008

Nächtliches Glockenspiel und andere Belanglosigkeiten.

anch einer ist der Meinung, von Zuhause gibt es nichts zu erzählen, nur wenn man auf Reisen ist, erlebt man interessante Sachen. Nun ist Vercelli schon wie ein zweites Zuhause, auch mich deucht, alles ist gesagt.
Es gibt immernoch keine vernünftigen Brötchen beim Bäcker, Parkplätze vor dem Haus bleiben rar und wer sich traut, stellt sein Auto in den engen Straßen ab, bis es zum Gewohnheitsrecht wird. Die runden Pflastersteine glänzen noch immer im Regen oder verschwimmen im Nebel. Bäume neigen zum Knospen, die Sonne bleibt jeden Tag eine Minute länger auf und ich gehe erst acht Stunden nach ihr zu Bett. Just gestern nacht, es war kurz vor halb eins, gerade wollte ich meinen Nachtschlaf beginnen, als das lustige Glockenspiel loslegte, das sonst um die Mittagszeit zu hören ist, und halb Vercelli aus dem Schlummer weckte - Fehler in der Matrix oder Absicht?
Das gefleckte Gesicht mit den zwei zähnefletschenden Mäulern ist allgegenwärtig, daran haben wir uns inzwischen genauso gewöhnt wie an die roten Teppiche und kleine runde Bäumchen in den Straßen, Peggy und ihrer schrägen Sammlung wegen sind wir seit November hochtrabend eine Stadt der Kunst und sollen es bis März noch bleiben - was kommt danach? Rückfall? Viel hibbeliger erwarten wir den Beginn des Carnevale, um la Bela Majin zu grüßen. Helau!
Ein Großteil der Kollegen beklagen Wohnungen, die einfach nicht warm werden, kein Wunder, ist doch alles für den Sommer gebaut, ausreichende Fensterspalte ersparen Durchlüftung, die Heizkostenabrechnung steht noch aus. Wollmäuse fühlen sich auch in bewohnten Zimmern wohl, wie wissenschaftliche Untersuchungen erst jetzt ergaben.

[] Vercelli / Dienstag, 15. Januar 2008

Die frieren, die Spinnen.


Stacheliger Raureif ist gewachsen auf den verkrüppelten Strünken und verdorrten Blättern. Spinnweben wie Glasnudeln, da wo die Sonne noch nicht ihre Wärme ausgestreut hat nach der frostigen Nacht. Eine weiße Landschaft ohne Schnee. Wo die Spinnen wohl sind.

[] Vercelli / Donnerstag, 10. Januar 2008

Einen Monat zu früh gekommen.


Gerade in der Stadt, schon der erste Schrecken - sind wir doch zu spät gekommen? Der Tag war rein zufällig gewählt, ein Nahziel sollte es sein für einen entspannten Sonntagsausflug.
Am östlichen Ausgang des Aostatals liegt bekanntlich das Städtchen Ivrea, welches für seinen ausgelassenen Karneval gerühmt wird. Am letzten Sonntag war L'Epifania, der Einstieg in die verrückte Jahreszeit nach alter Tradition. Teil davon ist die Legende der schönen Müllerstochter, die dem garstigen Landesherrn die erste Nacht verwehrte und den Lümmel stattdessen köpfte und damit eine Revolte auslöste. Aber erst im Februar wirft man deswegen mit Orangen um sich, daß es wehtut. Dann kommen wir wieder (wenn wir es nicht vergessen).

[] Ivrea / Sonntag, 06. Januar 2008

Finger im Po und andere Schnappschüsse.


Und schon sind wir im neuen Jahr, allen ein erfolgreiches solches!
Nach den wie immer äußerst besinnlichen Feiertagen - oder waren das Ohnmachtsanfälle von den aufgenommenen Kalorien? - beglitt mich M. (von Eingeweihten bekanntlich meist A. genannt) zurück nach Vercelli. Zusammen machten wir einige Tagesausflüge ins Umland und hunderte Schnappschüsse von Turin, dem Aostatal, Mailand, Alba, Asti und dem oberen Ende des Langensees.
Angefangen in Turin blieb uns die Aussicht auf die Stadt leider verwehrt, die wenigen Sonnenstunden nach Eintritt zum Lift anzustehen war es uns nicht wert, also steckten wir lieber den Finger in den Po und machten Fotos davon. Die sind natürlich zu intim, als daß man sie hier zeigen könnte.
Dann, am hinteren Ende des Aostatals durften wir Zeugen werden vom Beginn der Weißen Woche und ihren Auswirkungen auf den Straßenverkehr. Da es viele Leute auf die Bretter und eben die andere Seite der Berge zog, war der Lift nicht zu voll und die Aussicht vom Pont Helbronner danke des blauen Himmels wunderbärchen. Besonders in den Tälern sind winters die Sonnenstunden so dezimiert, daß wir Aosta schon im Halbdunkel durchstreiften. Unser Problem auf den Ausflügen war immer wieder, daß wir die Essenszeiten nicht einhalten konnten, nach spätem Frühstück und Anreise mit erster Unternehmung plumpsten wir oft in die tote Zeit zwischen drei und sieben, in denen kein Restaurant feste Nahrung anbieten will - also Vorsicht oder weg von der regionalen Küche! Hehehe.
Mailand! Das schlug am Silvesterabend dem Faß die Krone ins Gesicht! Es gibt hunderte, wenn nicht tausende Läden für Klamotten und Schuhe, Schaufenster mit Handtaschen und Schmuck in den Auslagen, Händler von Uhren und unanständiger Unterwäsche, aber Restaurants oder Cafés sind für den flanierenden Touristen nicht leicht zu finden. Wo ruht sich der gemeine Konsumkranke aus, wenn seine Tempel schließen? Ein Rätsel. Nicht nur für mich, hunderte, gar tausende Menschen irrten verwirrt durch die Gassen und schreckten bei jedem Knall zusammen.
In der Vermutung, die Stadt würde mit einer gigantischen Schau voller namhafter Künstler aufwarten, schlichen wir zum Parco Sempione hinter dem Castello Sforzesco. Auf zwei handtuchgroßen Bühnen fand gerade der Soundcheck statt, das hörte sich zumindest nach ordentlich Radau an. Wir stöberten durch den vernebelten Park, um uns die Zeit zu vertreiben und schlossen uns dann wieder den ziellos Umherirrenden an. Wenn Silvesterstimmung mit gemeinschaftlichem Tinnitus gleichzusetzen ist, bin ich mal wieder mit der falschen Vorstellung an die Sache herangegangen. Wo waren die gemütlichen Bars und Restaurants, in denen man sich aufwärmen und aufputschen konnte? Wir begaben uns wieder in den Park, um uns was von der Festlaune abzuschneiden - doch es herrschte Stille, zwei Stunden vor dem großen Knall. Aber warum? Sind unsere Kulturen denn wirklich so verschieden? Wir trotteten zurück in die Stadt.
Von immer mehr Explosionen genervt, die durch die Gassen schallten, verkrochen wir uns in ein Café in einer kleinen Seitengasse am Dom und versuchten uns Stimmung anzutrinken. Und dann fühlten wir, es wurde Zeit zu gehen. Hinter unseren Rücken startete endlich das Feuerwerk, als wir uns auf dem Weg zum Bahnhof das Übliche wünschten. Werden wir alt?
Ausgeruht und gemächlich machten wir einen Ausflug ins Land der Trüffeln, nach Alba. An der Cattedrale di San Lorenzo und in den Gassen herrschte die phänomenale Mittagsruhe. Wir streiften durch die Via Coppa und bestaunten die kleinen schmutzigen weißen und braunen kartoffelartigen Gebilde in den Kühlvitrinen, die für teures Geld feilgeboten wurden. Und wieder war wie auf ein Zeichen ganz Italien auf den Beinen und quoll in die Straßen. Zeit für einen gepflegten Cappuccino. Ab nach Asti.
Das lag schon im Dunkel, der kalte Nebel kroch durch die verwaiste Kleinstadt und unter unsere Klamotten. Die Leute strömten aus der Kathedrale und wie immer war es noch viel zu lang hin, bis die Restaurants öffnen würden. In Vercelli spiesen wir dann standesgemäß.
Cannobio am Langensee lag fröstelnd im feuchtkalten Nachmittagsschlaf, einzelne Schneeflocken tanzten durch die Luft. Zum Glück gab es an der Uferpromenade eine Lokalität, die uns warmes Essen servierte. Mehr war hier nicht.
Krönenden Abschluß von A.s Besuchs war der Ausflug in eines der neuzeitlichen Konsumtempel. Angesteckt von seiner Kauflaune - natürlich! - gab ich mich den kurzen Freuden des Geldausgebens hin. Und jetzt hab ich ein paar mehr Hosen und Strickjacken.

[] Vercelli / Donnerstag, 03. Januar 2008

...und hier geht's weiter in die Vergangenheit.